Von Vis nach Italien

geschrieben von René

Zeitraum: September 2018
Vorwort vom 13. April 2025 

Einer der ältesten Törn-Berichte von der ersten Polaris-Seite.
Er wurde geringfügig überarbeitet.
Dieser Törn war die erste Reise aus den kroatischen Gewässern heraus und gleichzeitig unsere erste „Langfahrt“ – wenn man so will. Für unsere Crew war es ein Erlebnis der besonderen Art, bei einer beherrschbaren Bora von Dalmatien über die Adria zum Sporn des italienischen Stiefels zu segeln.

Zu dieser Zeit wurde in Kroatien noch mit Kuna bezahlt, das Land war noch nicht in der EU, Internet war teuer. Kein Schengen-Raum, also waren Zollformalitäten für das Schiff verpflichtend. Vielleicht fühlten sich Segelreisen gerade deshalb noch abenteuerlicher an.

Heute lese ich es mit einem Lächeln – als das, was er war: 

der Beginn der ersten richtigen Seereise, die viel mehr war, als nur ein Kurs über See.

Status 13. April: Es fehlen noch zwei / drei Videos.

20. September 2018

Vormittags - Ankunft und technische Untersuchung

Mein Vater brachte mich um vier Uhr morgens zum Hannoveraner Flughafen wo gegen 05:45 Uhr ein Linienflug nach Split starten wird. Meine Crew sollte erst zwei Tage darauf folgen. Für unsere geplante Reise nach Italien bedurfte es noch einer wichtigen Abnahme, welche durch die „Hrvatska Registra Brodova“ erfolgen sollte – eine Art TÜV für sämtliche Wasserfahrzeuge. Diese Abnahme war notwendig um überhaupt im versicherungstechnischen Rahmen Übersegeln zu dürfen. Daher flog ich etwas früher nach Kroatien.

Yachten in kroatischen Gewässern werden seitens der Behörden in unterschiedliche Klassen unterteilt. Unsere Polaris war bisher für die Klasse III ausgestattet und abgenommen. Sie erlaubte es, die adriatischen Gewässer im Bereich der kroatischen Küste zu bereisen. Für unser Vorhaben benötigten wir jedoch Kategorie II, was neuer Ausstattung und bürokratischem Aufwand bedurfte. Iris betreute dieses Vorhaben administrativ und musste im Vorfeld die „Upisni List“ – die Schiffspapiere – zum Hafenmeister nach Pula senden, damit dieser die „Navigation Area“ von III auf Ia ändert. Zur Überquerung würde wie erwähnt die Klasse II reichen, wir strebten jedoch die Klasse Ia an, da wir im Folgejahr nach Korfu aufbrechen wollten. Die Umschreibung der Dokumente war nach viel Wartezeit und Dokumenten-Ping-Pong erledigt. Nun durfte die „Hrvatska Registar Brodova“ eine entsprechende Abnahme auf Grundlage der eingetragenen „Navigation Area Ia“ erfolgen. Ich vereinbarte entsprechend mit der „HRB“ einen Termin für zehn Uhr morgens in Split.

Mein Flieger startete pünktlich. Nach dem Abheben durfte ich die in der Dämmerung befindliche Landeshauptstadt von Niedersachsen bestaunen. Ich sah auf den Haupt- und Nebenstraßen zahlreiche leuchtende Scheinwerfer, welche zu Kraftfahrzeugen gehörten, welche ihren Weg durch die Dunkelheit bahnten. Irgendwann war das Flugzeug soweit gestiegen, dass die ersten Sonnenstrahlen den Kabineninnenraum hell erleuchteten. Ich steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren, schlief ein und erwachte erst, als sich das Flugzeug bereits im Landeanflug  längsseits der Küste befand. Strahlend blauer Himmel. Die Luft war gleichwohl diesig und es wurde höchste Zeit: Die für das Wochenende vorhergesagt Bora sollte den Rotz herausblasen – Und hofften sogar monatelang darauf. Mit deren Nachwehen planten wir, über die Adria zu setzen.

Aus dem Fenster blickend sah ich das im Dunst liegende Kroatien: Zadar, Biograd na Moru, die Kornate, die Krka – ich lächelte: Zum Glück fand unser Abenteuer zu dieser Jahreszeit statt, denn in der Hauptsaison ist das Land unerträglich geworden ob des Massentourismus.

Die Freundschaft zwischen uns und einer kroatischen Familie auf Hvar hält seit drei Generationen. Ich erinnere mich an eine Hvar-Stadt in der es nur Fischmarkt und vereinzelte Restaurants gab. Meine bruchstückhaften Erinnerungen reichen ungefähr zu meinem vierten Lebensjahr: Es gab wenig Tourismus aufgrund des kroatischen Heimat-Krieges. – Nicht an der Küste, wie uns auch unsere kroatischen Freunde versicherten. Durch militärisch gesicherte Behelfsbrücken, man nannte sie wohl Ponton-Brücken, bahnten wir uns damals mit dem alten VW Passat unseren Weg nach Hvar. In Hvar-Stadt selbst gab es anstelle von Verkaufsbuden für Souvenir und Ticketständen für Tourismusbooten einen Fischmarkt. Ich kann mich noch gut an eine dicke aufgebockte Holzbohle eines Fischhändlers erinnern, auf welcher ein Seegetier mit sechs Armen lag. Unter ihm eine Lacke aus blauer Flüssigkeit. „Das ist ein Tintenfisch.“ erklärten mir meine Eltern nüchtern auf meine kindlich interessierte Frage. 

Das Flugzeug wurde durch eine etwas unsanfte Landung durchgeschüttelt: Ich war zuhause. Zielstrebig bewegte ich mich durch die Passkontrolle und wartete auf meinem Koffer. In ihm waren ein Radar-SART, AIS-SART und div. sonstige Ausstattung, welche wir für die erstrebte Klasse II benötigten. Am Gepäckband rief ich unsere kroatischen Freund Tonci an, welchen ich schon ein paar Tage zuvor über meine Ankunft informierte, mit der Bitte, die Yacht nach Split zu fahren. „Warten Sie in Nava Marina – bis gleich!“ – Er legte auf. Das war seine unnachahmliche Art.

Anflug Split-Kastella
Im Taxi nach Split
Zwischenspiel - Taxi nach Split

Nachdem meine Reisetasche auf das Gepäckband ausgespuckt wurde begab ich mich zum Ausgang und erkundigte mich nach dem nächsten Bus. Auf dem Weg dorthin bot mir ein freundlicher Kroate an, mich für nur 30€ bis zur Marina Nava zu fahren. Ein guter Preis.

Der Wagen war alt. Das war klar, bevor man sich setzte. Innen roch es nach Sonne, Leder und Tabak. Ich genoss die Fahrt mit dem kroatischen Uber-Fahrer, welcher kaum Englisch sprach. Und mein Kroatisch reicht höchstens für die Getränkebestellung. 
Er nickte, mit Glimmstängel im Mundwinkel, während ich auf seine Fragen stotternd von Krka und Biograd berichtete.

„Ah! Biograd Na Moruuuu! Mhm?!“ – in einer Stimmfarbe, gleich dem Händler auf Tatooine, welcher Gebrauchtteile für Pod-Racer und Raumschiffe verkauft. – Nur dass ich diesem da links von mir vertraute.

Der Kopf wippte leicht nach hinten, das Mhm?! zog sich durch die Luft wie der Rauch seiner Zigarette. Er lies sich dabei tiefer in seinen Sitz fallen, paffte und beobachtete den Verkehr.

Ich blickte aus dem Fenster des klapprigen Renault und sah das blaue Wasser der Adria und die Hafenstadt Split und begann zu träumen und war wieder zuhause. Wir passierten die Vorstadt und das Stadion von „Hajduk Split“. An der Marina Nava angekommen verabschiedeten wir uns.

Spiegelkunde - Wie Klaus Kinsky es erleben würde.

Diesen Abschnitt der grotesk-herrlichen Taxifahrt ließ ich mit Hilfe eines GPTs etwas in die Worte von Klaus Kinsky bringen. Weil es genau mein Humor ist und mich dieses stupide, kleinschrittige kopieren, einfügen und editieren der alten Törn-Berichte irgendwo zwischen alten Erinnerungen an das gesamte Abenteuer falsch abbiegen ließ. Und wo bin ich jetzt hier gelandet? Ich sitze seit ungefähr acht Stunden an diesem einen Abschnitt. Lasse mich von einem Rechner beraten, lese wieder und wieder, füge etwas ein, streiche woanders. Und dann macht es mir auch noch Spaß! Mich mit diesem GPT über einzelne Wörter zu streiten und an dieser Version die Feile anzusetzen:

Nachdem diese gottverdammte Maschine meine Tasche auf das Gepäckband ausspie,
stolperte ich durch den blödsinnigen grauen Glastunnel des Flughafens –
um draußen von einem Mann angesprochen zu werden,
der aussah, als hätte ihn das Balkanland selbst aus Staub und Zigaretten geformt.

Er sagte nicht viel. Warum sollte er auch?
Ich verstand sowieso nichts!
Er führte mich zu einem Renault, der wie ein Gebiss im Sturm klapptere,
aber verdammt – er roch angenehm nach Sonne, nach Leder,
nach dem letzten inhalieren und auspusten einer rauchigen Hoffnung, die irgendwo zwischen Zagreb und Dubrovnik verloren ging!

Ich ließ mich in den alten Sitz fallen, dessen Federn meinen Körper quälten und kapitulierte vor diesem Automobil aus Tito’s Zeiten.
Und dann begann dieses Gespräch…
Dieses groteske Gespräch,
das aus Google Translate und Gesten bestand –

…wie zwei Schimpansen, die über die Liebe zu ihrem blöden Ast diskutieren, auf dem sie saßen,
während der eine dem anderen versucht zu erklären, welches von all den verdammten Biograds nun endlich gemeint ist, über das wir in wilden Erinnerungen wie blöde gestikulieren –
denn irgendwo liegt es ja, dieses eine, das man sucht,
zwischen zwanzig anderen, die alle so ähnlich heißen, weil offenbar niemand Lust hatte, sich was Neues einfallen zu lassen. Und nicht nur das! Jeder zweite Hafen nennt sich „Milna“ oder „Luka“ – ebenso wie jeder Einheimische hier – wie soll man es also bitteschön erklären?

Und dann sagt er: „Ah! Biograd naaa Moruuu! Mhm?!“

Und dieses eine Wort –
dieses gedehnte, zufriedene Mhm?!
durchzog den Innenraum wie eine Rauchschlange aus uraltem Tabak.
Und sein Kopf wippte dabei immer und immer wieder vor- und zurück.
Die Zigarette tanzte wie ein Pendel zwischen Leben und Wahnsinn.
Ich schwöre, in diesem Moment war er Gott.

Und ich?
Ich war nur Passagier!
In einem Renault!
In einem Land, das ich liebte und verfluchte zugleich.

Die Reise geht weiter:

Ich schlurfte meine Reisetasche hinter mir her, an den Stegen der ACI Split vorbei, zur Marina Nava und da lag sie: Die Polaris. Die Dufour Classic 43, welche zu diesem Zeitpunkt bereits neunzehn Jahre im Besitz meiner Familie war. Tonci war nicht da und so hatte ich einen Moment mit ihr allein.

Ich warf meinen Koffer auf das Mitteldeck, stieg den Niedergang hinunter und begutachtete zuerst das Sicherungstableau über dem Navigationstisch, an welchem vereinzelte rote Lampen aufleuchteten. Das Volt-Meter zeigte eine Spannung von 13,6V an. Kein Wunder bei dem Sonnenschein. Unsere Solarmodule hatten sich absolut bewährt. Diesel und Wasser waren zur Hälfte gefüllt. Meine rechte Hand ruhte am Handlauf vom Niedergang. Ich fühlte mich wie Han Solo auf dem Millennium-Falcon.

Jedoch machte sich auch etwas Ungeduld breit. Denn mir fehlte die „Upisni List“ – die Zulassungspapiere unserer Yacht, ohne sie ist eine Abnahme gar nicht erst möglich. Eine kroatische Freundin sollte sie mir vorbeibringen. Sie betrieb ein Appartement unmittelbar an der Altstadt. Seit mehreren Jahren übernachte ich hin und wieder dort, mit Crews, im Anschluss eines Törns.

Ein Versand der „Upisni List“ nach Deutschland wäre ein schwieriges, bürokratisches Unterfangen geworden, sodass sie die Papiere postalisch entgegen nahm – und stand pünktlich um neun Uhr an unserer Yacht mit dem sehnlichst erwarteten Schriftstück. Wir begaben uns zu einem Café und unterhielten uns. Ich kann das Appartement unweit von Split-Altstadt nur wärmsten empfehlen: Es hat Platz für bis zu 16 Personen, aufgeteilt auf zwei Häuser. Eine riesengroße Terrasse mit Grill und perfekte Bindung zur Altstadt lassen keine Wünsche offen. Höchstens ein Pool, aber dafür gibt es Bacvice-Bay. (und wenn man es schön und ruhig mag, dann weiter bis zum Kiesstrand vorm Dorint-Hotel.)

Zurück am Schiff kam wenig später der Ingenieur der „HBR“ und begutachtete unsere Ausstattung. Das „AIS-Sart“ hielt er für überflüssig. Die restliche Ausstattung entspräche den Anforderung. Für die höhere Klasse für weltweite Gewässer müssten wir noch die Rettungsinsel nachrüsten und noch einen zusätzlichen Rettungsring besorgen.
Er gab uns den benötigten Stempel für die Klasse II, um nach Italien übersetzten zu dürfen.

Nachmittags - Ankunft Tonci und Überfahrt nach Milna

Kurz nachdem der Ingenieur die Yacht verlies, war auch schon unser kroatische Freund Tonci an Bord. „Ist alles OK mit Boot?“ – Ich fuhr ihn nach Rogac auf Solta, seine Heimatinsel. Er sprang von Bord, ich selber musste noch mit zwei Reparaturaufträgen nach Milna auf Brac: Beim vorherigen Badetörn war beim obligatorischem Herunterspringen vom Bugkorb eine Stütze im Bereich des Gewindes gebrochen.

Es war ein herrliches Wetter. Die Sonne strahlte. Nachdem Tonci absetzt war, konnte ich bei lauem Nordwind die Segel setzten. Ich dümpelte mit drei Knoten in Richtung Milna auf Brac. In der Hafeneinfahrt barg ich die Segel und sprach mit dem am Steg wartenden Marinero der Marina „NCM“ – etwas preisweiter als der daneben liegenden ACI – von Milna.

„Haben sie reserviert?“  
„Nein!“ entgegnete ich: „Der Steg ist frei? Wer kommt denn noch?“
Es war bereits 17 Uhr. Zwischen mir und der nächsten Yacht war Platz für etwa vierzig Yachten. 

„Mirno More!“

(Die Friedensflotte, unter der die Polaris auch schon unterwegs war.)


Er blickte auf unseren Bug und las den Namen unserer Yacht.
„Polaris? Sie haben reserviert.!“

Überrascht, dass es eine Reservierung vorhanden war, machte ich fest.


Kurz darauf kam die Regatta: Es war ein einziges Schauspiel: Vierzig Yachten fuhren unter Segel in den Hafen von Milna, holte die Segel ein und legten höchst diszipliniert römisch-katholisch an den Steg! Sowas hatte ich bis dahin nur selten bestaunen dürfen. Da waren allesamt Profis an Werk.

Zwischenzeitlich war der Edelstahl-Schweißer von Milna an Bord. Es stellt sich heraus, dass er für mich im Vorfeld einen Liegeplatz reservierte. Nach Begutachtung des bereits ausgebauten Bugkorbes empfahl er, die achterlichen (hinteren) Edelstahlschraubgewinde durch deutlich dickere zu ersetzen.

Eine Stunde später kam er mit unserem Bugkorb und vertraulicher wirkenden Gewinden zurück und befestigte ihn. Ich zahlte die geringe Gebühr für die tadellose Schweißarbeit und begab mich zu meinem Lieblingslokal. 

Polaris in der Marina Nava...
...und bereits am Nachmittag in Milna.

21. September 2018

Zurück nach Split

Nach einem guten Abendessen in der Pizzeria „Slika“ legte ich mich nach diesem langen Tag zu Bett und erwartete am nächsten Morgen die beiden Problemlöser Thomas und Patrick Sauer. Sie sind die in dem Segelrevier bekannt für kurzfristige Hilfe.

Heute verbauten sie für mich ein neues Absperrventil zwischen den Wassertanks von Bug und Heck. Endlich konnten wir wieder vernünftig Gewichtstrimmen.

Anmerkung: Solche Arbeiten am Wasser-System verlaufen seither ohne Hilfe.

Fünf Minuten später verabschiedeten sie sich und ich begab mich wieder nach Split, wo meine Pensionistin und ihre Familie eine kleine Rundfahrt mit Polaris für ihre Mühe spendiert bekommen sollte. Ihre Arbeiten als Dolmetscherin beim Hafenamt und ihre Tätigkeit als Briefbotin hatte unser Vorhaben deutlich erleichtert. Dafür wollte ich danken. Nach einem entspannten Nachmittag vor Split setzte sie unweit des Hafenamts wieder ab und fuhr mit langsamer Fahrt nach Trogir-Seget zu einer schönen Bucht. Am nächsten frühen Morgen sollte der erste Teil meiner Crew dort aufschlagen. Nudeln mit Sauce sollten mein Abendessen sein. Die Sonne verschwand hinterm Horizont, es wurde langsam dunkel. Nachdem ich den Anker warf und das Ankerlicht setzte schlief ich auf Deck ein. 

Mein Wecker schellte gegen 07 Uhr. Ich prüfte die App „Flight Radar“ – der Flug von Philipp, Henning, Julian und Ralf sollte in wenigen Minuten über meinem Kopf hinwegfliegen. Vor Anker liegend beobachtete ich den Punkt der Live-Tracking-Funktion dieser App. Und da war die Maschine, welche dicht neben der Bucht in Richtung Flughafen zur Landung ansetzte.

Nach einem Foto des Flugzeugs riss ich meinen Anker aus dem Schlamm und tuckerte ruhig nach Trogir-Seget. Die See war glatt. Die Luft diesig. Es war wirklich Zeit für eine Bora. Ich fuhr zwecks seitlichem Anlegens langsam an den Steg heran. Die Heck- und Vorleine lagen auf Höhe des geöffneten seitlichen Türchens der Reeling bereit. Motor neutral. Mit der Heckleine in der Hand sprang ich auf den Steg. Ich legte sie zügig über eine kleine Klampe, fing die Yacht mittels der über der Reeling bereitliegenden Vorleine ein, machte fest und wartete auf meine Crew.

Es war trotz der späten Jahreszeit reges treiben! Duzende Putzkräfte wuselten auf den Charteryachten herum. Viele Crews mit Rollenkoffern gingen den Steg auf und ab. Ein Marinero sprach mich an, wie lang ich bleiben wolle: Ich bat um etwa zwanzig Minuten Zeit um meine Crew einzusammeln. „Nema Problema“ – und da kamen sie auch schon: 

Nach einer herzlichen Begrüßung warfen wir zügig die Reisetaschen und Ralfis kleinen Seesack, auf das Vordeck der Yacht und legten ab. Jeder bekam ein alkoholfreies Karlovacko in die Hand. Motor aus: Segeln. Wir plapperten. Hatten wir uns doch über ein Jahr nicht gesehen! Irgendwann zwischen Segeln und Gesprächen wurde Zeit anzulegen: Ich sah auf die Karte. Eigentlich sollte Maslinica an Backbord liegen, doch irgendwas stimmte nicht mit den Umrissen der seitlich befindlichen Insel: Wir waren schon dran vorbei gefahren!

Der Wind und das Gespräch hatte uns die Zeit vergessen lassen. Gleichzeitig erreichte uns eine Nachricht unseres gegen 13 Uhr eintreffenden Crewmitglied Morten: Er wird wegen einer Flugverspätung erst fünf Stunden später erscheinen. Das erleichterte unsere Situation, wollten wir doch eigentlich den Grundeinkauf schon vor seiner Ankunft erledigt haben um am nächsten Tag unseren Absprungpunkt und „Port of Entry“ (in diesem Fall eher „Port of Exit“) gen Italien zu erreichen: Vis.

Wir fuhren eine Wende, die Yacht rauschte mit etwa sechs Knoten um die Insel, welche nicht Solta war, zurück nach Maslinica. Unser Tonci stand bereit und reichte die Mooring. Einen Grundeinkauf im nahegelegenem Konzum später fuhren wir wieder zur Marina Baotic um den Nachkömmling Morten einzuladen. Auf der Überfahrt entschlossen wir uns auf Vorschlag von Philipp und Ralf ob der Reise nach Italien ein paar „Mann über Bord Manöver“ zu trainieren. Ihre Professionalität beeindruckt mich zutiefst.

Wir fuhren zur Tankstelle der Marina Baotic, sammelten den dort wartenden Morten ein und segelten zurück nach Maslinica, wo wir im Restaurant von „Georg“ aßen und uns in die Kojen begaben. Ich bin mir nicht sicher, ob es wieder vier Pizza Funghi waren – aber der Abend war schön. Ein anderer schlief schon im Restaurant ein. 

Am nächsten Morgen wünschte uns Tonci eine „Gute Reise!“ und „Machen Sie ‚Segel bei Bura klein! Warten sie vielleicht bis Montag!“ Wir legten ab und segelten nach Vis. Es war ein herrlicher Tag bei strahlendem Sonnenschein! Mit halben Wind kamen wir in wenigen Stunden rüber und lagen in Vis direkt an der Altstadt vor Mooring. Wir wussten, dass eine sehr schwere Bora über Dalmatien fegen wird und berieten über das weitere Vorgehen.

Diese ‚Bura‘ sahen Co-Skipper Philipp und ich schon eine Woche zuvor. Um nach Italien zu gelangen ist eine Bora, wenn sie nicht zu stark ist, prinzipiell gut, aber die kommende sollte die schwerste September-Bora seit einem Jahrhundert gewesen sein, mit Spitzen von 160km/h. Ein Tag wollten wir also südlich, geschützt von Vis, vor Anker oder Boje abwettern, bis sie nachlässt. In Vis besorgten wir noch ein paar Safety-Leinen und eine italienische Flagge.

Die neuen Füße des Bugkorbs
Auf dem Weg nach Maslinica

20. September 2018

Am nächsten Morgen legten wir zeitig in Vis ab. Der Sturm sollte gegen 15:00 Uhr loslegen. Über das kroatische Festland lag schon ein drohender dunkler Schatten. Mit Sorge betrachtete ich das Naturgeschehen. Sollte er sich weiter verdunkeln ist größte Obacht geboten. Wir fuhren nördlich dicht an Vis vorbei. Ich hatte die Hoffnung, noch Lastovo erreichen zu können. Wir berieten uns, da mein Bauchgefühl sagte, dass die Bora deutlich eher einsetzen wird. Ich wollte an der östlichen Spitze von Vis in einer vor Bora geschützten Bucht mit Bojen-Feld abwettern.
Uns fuhr schon ein Schlauchboot entgegen um uns beim Festmachen an der Boje zu helfen. Wir machten fest und mussten nicht einmal bezahlen. Bei Sturm seien die Bojen umsonst. Das Wetter war noch schön. Wir badeten und machten uns eine Mahlzeit. Cirren, umgangssprachlich Schleierwolken genannt, zogen landseits auf, kletterten übers Firmament und schirmten den Himmel vollständig ab. Die Sonne war verdeckt und die Umgebung mehr und mehr verdunkelt. Mein Handy vibrierte ununterbrochen: In Facebook wurden in diversen Foren Videos der am Festland tobenden Bora veröffentlicht. Ich stieg den Niedergang hinauf und beobachtete das Wetter. Die Luft war noch warm, es wehte noch ein schwacher südlicher Wind, welcher unvermittelt einschlief. 
Es regte sich kein Lüftchen. Zum Festland blinkend wurde die schwarze Wand über der kroatische Küste immer gewaltiger: Wenig später setzte ein schwacher nordöstlicher Wind ein, welcher gleich der Beschleunigung eines Sportwagens zügig stärker wurde. Er ließ die Luft um gewiss zehn Grad erkalten! Und dann trafen die ersten Böen die Polaris, welche deren Heck und die der vereinzelt anderen im Bojen-Feld abwetternden Yachten auf einem Schlag nach Süd-Ost drehte. Das Licht wurde zunehmend verschluckt und dann setzte der Regen ein. Ich vergewisserte mich der Kopfschläge unsere beiden Leinen und begab mich den Niedergang hinab, wo wir das Abwettern mit Musik und Getränken zelebrierten. 

Die fast komplette Crew
Anleger- und Willkommensbier

23. September 2018

Nach Italien

Am nächsten Morgen, gegen 05:30 Uhr, wurde ich durch Philipp geweckt: Die Bora würde abschwächen und sei besegelbar. Wir lösten unsere beiden Leinen zur Boje und segelten zwecks Ausklarieren zur Komiza nach Vis.

Morten klemmte seine Kamera an das Vorstag, welche beeindruckend den Sonnenaufgang über Lastovo filmte. Um acht Uhr erreichten wir die Komiza. Ich begab mich zur Hafenmeisterin und erklärte ihr unser Vorhaben nach Italien zu reisen. Sie verständigte die Polizei welche hierfür zuständig ist. Sie traf eine Stunde später ein. Der kroatische Schutzmann fuhr mit seinem Streifenwagen zu einem umfunktionierten Container vor. Er stieg mit zwei großen Stempel in der Hand aus und begab sich zum „Büro“.

Das Gespräch wie folgt:  (frei übersetzt)
„Wohin wollen sie ausreisen?!“
„…nach Italien!“
„Wohin?“
„…Italien! Wir wollen Übersegeln.“
„Wohin genau?“
„Na gut, … ehm, sagen wir … Manfredonia!“
„Ok. Wann wollen sie fahren nach Italien?!“
„Ehm, … in zehn Minuten?“
„Okay!“

Er vermerkte als Ankunftsort „Manfredonia“ auf einem dünnen Stück Behördenpapier und als Abreisezeit 10:04 Uhr. Dann schwang er sein wuchtiges Hilfsmittel und verpasste mit lauten Knallen den Pässen und der Crew-Liste einen Stempel. Zuletzt übertrug er in ein staubiges, riesiges, vergilbtes Buch unsere Daten mit akribischer Handschrift ein, schlug es zu, dass das Buch fast beleidigt ächzte – und legte einen Durchschlag meines Dokuments in eine klemmende Schublade, die sich erst nach einem geflüsterten Fluch knarzend fügte.

Wir gingen gemeinsam zur Polaris. Er wollte die ganze Crew sehen, musterte uns der Reihe nach, glich die Pässe mit den Gesichtern ab, runzelte verwirrt die Stirn, als er auf die Zwillinge stieß, kratzte sich an der Nase – und verabschiedete sich schließlich mit einem kurzen Nicken.

Er wartete am Steg bis wir den Hafen verließen. Das ganze hat übrigens nichts gekostet. Beim Auslaufen spielten wir über unsere Cockpit-Lautsprecher Azzurro und verließen pünktlich um 10:04 Uhr den Hafen. 

Wir setzten die Segel und begaben uns mit den Nachwehen der Bora nach Italien. Raumschot. Genua voll, Großsegel halb. Drei Meter Welle. Die Segel und das Rigg schlugen immer mal wieder. Eine halbe Stunde. Die Polaris gierte, sobald die Genua wieder vom Wind gepackt wurde um darauf zurück gependelt zu werden. Sie machte kaum vernünftig fahrt. Die geballte Kompetenz an Bord konnte die Segel nicht vernünftig stellen. Bis ein Crew-Mitglied, ohne Schein und nur mit einem Törn Segelerfahrung, den rettenden Einwand brachte:

„Macht mal die Genua kleiner!“ – Morten.

Wir setzten es in der Tat um. Die Genau war zu einem Viertel geöffnet, das Großsegel zu Zweidrittel. Ab diesem Moment brauste die Polaris mit dieser Segelstellung etwa dreizehn Stunden nach Italien. Mit bis zu 8,5 Knoten Fahrt!

„Das System stimmte nicht“

– war der trockene Kommentar von Ralfi, eines erfahrenen Regatta-Seglers an Bord.

Auf dem Weg nach Italien sahen wir neben fliegende Fischen auch unzählige Containerschiffe. Unter Krängung kochten wir mit adriatischem Meerwasser eine ordentliche Portion Nudeln mit Pesto. Ein beliebter Klassiker. Als wir die italienischen Hoheitsgewässer erreichten setzten wir die grün-weiß-rote italienische Flagge auf Steuerbord. Die Bora hatte für eine enorme Weitsich gesorgt. Wir sahen jederzeit Land. Irgendwo hatten wir erwartet, zwischendurch auch mal nur Wasser zu sehen. 

Über die Adria...
...stundenlang Hart am Wind.

24. September 2018

Gegen Mitternacht saß ich vorn auf dem Ankerkasten und hörte Musik, während die Polaris „Hart am Wind“ zügig in Richtung der italienischen Küste brauste. Wir sahen schon das Leuchtfeuer von Vieste und die Lichter der Städtchen welche sich drumherum ansiedelten. Der Wind nahm etwas zu, die Frequenz der Wellen wurde kürzer. Der Bug der Polaris tauchte immer mal wieder so stark in das Meer ein, dass das Wasser über das Deck spritze. Die Bora war stark und wir waren schnell. Ich begab mich ins Cockpit und besprach das kommende Manöver: Wir wollten in den Hafen von Vieste einlaufen. Dieser war durch Steinmolen vor Bora geschützt. Wir bargen die Segel, ließen unseren Penta an und fuhren in den Hafen. Weit im Vorfeld vor diesem Unternehmen studierte ich die wenigen Häfen der italienischen Adria.

Eine halbe Seemeile vor der Einfahrt hatten wir bereits nur etwa acht Meter Wassertiefe! Der Wind fegte mit fünfundzwanzig bis dreißig Knoten über uns hinweg. Ich fuhr die Polaris in die Hafeneinfahrt, Philipp sagte mir die Tiefen an: Zwei Meter Wassertiefe! „1,9 Meter! 1,8 Meter!“ – Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, wie viel Puffer zwischen der angezeigter und der tatsächlicher Wassertiefe bestand. In Kroatien kannte ich jeden Stein und das Gewässer ist vergleichweise unproblematisch. Eine Handbreit von der Küste entfernt hatte man doch oftmals dutzende Meter Wassertiefe!

Ich wusste, dass der angezeigte Wert des Tiefenmessers nicht der Wahrheit entspricht und pessimistisch eingestellt war. Doch wie viel Puffer gab es? Liefen wir auf Grund wäre das ein riesiges Problem! Wir befanden uns mit langsamer Fahrt in der Einfahrt, den starken Wind im Rücken: Ich fasste meinen Entschluss und drehte die Yacht auf dem Sporn. Wenden auf engstem Raum. Der Penta röhrte, die Gischt schlug nach der 180° Drehung gegen die Yacht und Crew. Unsere Bekleidung war patschnass, da half auch die Sprayhood nichts! „1,8 Meter!“ brüllte Philipp gegen Wind und Wetter ankämpfend. „1,9 Meter!“ „2,1 Meter!“ und kurz darauf „….Zwo Komma Fünf…!“
Wind und Regen schlugen uns in die Fresse aber unser Motor jagte uns problemlos hinaus. „Wir fahren nach Manfredonia! Der Hafen ist mir zu flach!“

Mit Rückenwind und gewaltiger Strömung fuhr die Polaris mit bis zu 11 Knoten über Grund am italienischen Sporn hinunter. Wir setzten keine Segel. Der Tag war lang genug geworden und wir schnell genug. Die Strömung sollte uns auf dem Rückweg noch Schwierigkeiten bereiten. Etwa fünfundzwanzig Meilen waren es bis Manfredonia. Ein Teil der Crew legte sich wohlverdient pennen. Ich wollte wach bleiben. Crew-Mitglied Henning unterstütze mich. Gegen drei Uhr manövriere er die Yacht durch ein von mir unterschätztes mächtiges Bojen-Feld des Industriehafens von Manfredonia bis hin zum Yachthafen, welcher Platz für vierhundertfünzig Yachten bot. Wir funken diesen an. Trotz der späten Uhrzeit bekamen wir Antwort.

(Vielleicht war man auch mal froh, das jemand vorbeischaut. Die Stege waren leer.) 

Dort wurden wir von zwei freundlichen Italienern empfangen. Es war 04:00 Uhr. Wir betraten nach einem langen Segeltag und einer tollen Überfahrt italienischen Boden! Und fielen kurz darauf übermüdet ins Bett.

Eine klassische Mahlzeit...
...in der Dunkelheit vor Vieste.

Lesermeinung


– in der Stimme des literarischen Gewissens der Nation

unter Zusammenarbeit mit einem GPT.

 

Meine Damen und Herren,

das, was Sie soeben gelesen haben, ist – nun ja – Literatur, die sich bemüht. Ein Reisebericht, wie ihn nicht jeder zu schreiben wagt – und das ist auch gut so. Der Autor, ein Skipper mit Hang zur Feder, versucht sich hier an einer Erzählung, die zwischen Wellen und Worten hin- und herschlingert. Und manchmal – ja, manchmal – hält sie Kurs.

Natürlich ist dies kein großer Roman. Kein Thomas Mann auf See.
Aber es ist auch kein banaler Eintrag in das Internet, mit diesen teils lachenden oder erstaunten, gelben Gesichtchen, die heutzutage … unerträglich aufgeregt aus einem schäusslichen Text hervorstechen. Es ist etwas dazwischen – und genau darin liegt seine stille Stärke.

Der Autor beobachtet. Und er beobachtet gut.
Er verwechselt nicht Dramatik mit Drama und verweigert sich erfreulich konsequent der Versuchung, sich selbst zu überhöhen. Das übernimmt er lieber zwischen den Zeilen – und, meine Damen und Herren, genau da wird es interessant.

Der Text hat Längen – wie ein Segeltag bei Flaute.
Und ja, man riecht gelegentlich mehr den Bord-Apport als die salzige Brise.
Aber was soll ich sagen? Ich habe mich nicht geärgert. Ich habe gelesen.

Und:
Der zweite Teil der Reihe – ich durfte ihn bereits in Auszügen einsehen – öffnet weitere Räume.
Komik. Milde Ironie.
Und ein Italien, das so eigen ist, dass man beinahe glaubt, es sei völlig frei erfunden, salopp formuliert „Seemannsgarn“ 

– wäre es nicht so wahr.

Wir lesen von einem Hafen, der aussieht wie eine Kulisse – und sich genauso anfühlt.
Wir begegnen weiteren Figuren – auch von Taxifahrern scheint der Schreiberling nicht müde zu werden – einem Pizza-Bäcker und noch mehr kommunikativer Hilflosigkeit in fremder Region, die nur das Leben so schreiben kann.

Und wir spüren: Da ist etwas, diese Trilogie umspannendes, im Anflug.
Ein Sturm vielleicht? Etwa noch eine, in diesem kurzen Text viel zu inflationär genutzte, „Bora“?
Nein – diesmal ist es ein seltenes Wettereignis: ein Medicane, wie der Autor andeutet.
So schlicht umschrieben wie die Taktik, welche das zusammengewürfelte Kollektiv anwendet:
Warten. Verlieren. Sich retten – in ausufernde Beschreibungen von tristen Hafenorten, fragwürdigen Ritualen auf See
und der Zubereitung eines Bananen-Splits.

Ich bleibe trotzdem gespannt und hoffe, Sie sind es auch.
Und ich empfehle Ihnen: Setzen Sie die Lektüre fort.
Es lohnt sich.

Man muss es ja nicht gleich gut finden – aber man sollte es gelesen haben.

Ihr

Marcel Reich-Ranicki

Diese Seite teilen: