Von Bonifacio nach Ischia

bei letzter Gelegenheit.
von René Schäfer
Zeitraum: September 2024
 
Vorwort vom 08. April 2025 

Polaris und ich waren bereits seit zwei Wochen von Almerimar nach Vibo Marina in Italien unterwegs.

Bei überwiegend 40 Grad Luft- und 30 Grad Wassertemperatur – nebst guten Leuten an Bord und ausreichend Kaltgetränken. Die Menschen gingen von Bord – das Wetter wurde zunehmend labiler. Man könnte von einem Herbsteinbruch sprechen.

07:30 Uhr

Mein Wecker hob mich zum rechten Moment aus dem Schlaf. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt – ich drehte mich auf den Rücken und blickte nach oben durch die große Deckenluke der Vorschiffskabine, die weit geöffnet war. Ein Dunst lag über Bonifacio, getränkt vom ersten Licht des Morgengrauens.

Die aus Mitteleuropa heranziehende Kaltfront war noch Stunden entfernt, zeigte aber bereits ihre ersten Fühler im Mittelmeerraum. Cirren bildeten ihre grauen Schleier über den Horizont aus. Noch am Tag zuvor spannte sich ein strahlend blauer Himmel über den Hafen – nichts deutete auf einen kraftvollen Wetterumschwung hin.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass ich bereits nach unserer Ankunft bei einem schönen Moment mit einem Gin & Tonic an einer Cocktail-Bar tags zuvor, direkt am Steg, wo Polaris ruhte, das Wetter prüfte – nur um festzustellen, dass der bezahlte zweitätige Stopp in Bonifacio besser auf eine einzige Nacht reduziert werden sollte.
Denn: Es gab nur noch ein einziges, brauchbares Wetterfenster, um die Reise der Polaris von Spanien nach Italien in meinem gesetzten Zeitraum zu beenden. Nämlich bereits am kommenden Morgen. Und so war es gut, trotz der einmaligen Kulisse, das Wetter geprüft zu haben, um vorbereitet zu sein.

Wir mussten also weiterziehen. Zum Glück wusste Crewmitglied Tomas, der seine Reise auf Korsika beendete, was Wetter bedeutet – und buchte sich einen früheren Flieger.

An diesem Morgen drehte ich mich noch einmal, stand schließlich auf – und begann, nach einer schönen Skipper-Cola im vom Tau klatschnassen Cockpit, meine geplante Route abzulaufen. Um 08:30 Uhr sollte der Marina-Store öffnen. Und mir fehlten Reservekanister. Keine Ahnung wie lange diese Reise würde, aber es waren auf direkter Linie bis Vibo Marina vierhundert Meilen. Rein rechnerisch reicht unser Dieseltank im anspruchsvollsten Fall für ca. 60 Motorstunden, was ungefähr 300 Seemeilen bei strammer Fahrt entspricht.

Ich lief also verschlafen durch Bonifacio umher, bog in einer Seitengasse falsch ab und erreichte dadurch gegen 07:45 Uhr eine Tankstelle. Im Laden war Licht, war sie jedoch schon geöffnet? Ich trat vor die Schiebtür, welche unweigerlich öffnete – und trat zufrieden ein. Rechts der Tür lagerten, neben einem Spielautomaten-Klienten, welcher mit glasigen Augen und seinem, vom Tabak gelb-grau gefärbten Zeigefinger, auf rotleuchtende Tasten drückte, eine sauber gestapelte Reihe von Kanistern. Eine ganze Wand voll, schön aufgereiht in unterschiedlichen Größen.

Vier 20-Liter-Kanister schnappte ich mir und kehrte zum Schiff zurück und war gut in der Zeit. Denn mein Ziel war es, etwa zwanzig Meilen östlich von Sardinien zu sein, um der Wucht der gegen 15 Uhr nahenden Front zu entkommen. Laut frischer Vorhersage soll im Zentrum der Front mit bis zu 45 Knoten Wind zu rechnen sein, in Böen um das eineinhalbfache so viel – nebst einer Menge Blitze dazu.

(Hinweis für Skipper: Es hatte sich am Ende das Wetter-Modell „Aladin“ als am sichersten bewährt!)

08:00 Uhr

Voll mit Kanistern beladen...
...an der belegten Tankstelle.

Ich ließ den Motor bei drückender Schwüle an. Der Schweiß lief mir schon jetzt über die Stirn. Heraus aus der Box drehte Polaris nach Backbord – und ich sah mich vor mir einem riesigen Katamaran, der mit seiner Breitseite an der Tankstelle lag. (Öffnungszeit: 08:00 Uhr.)
Meine Freude, so früh am Morgen noch genügend Kanister gefunden zu haben, war dahin – Polaris und ich mussten warten.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde langsamer Fahrt, vorwärts, dann wieder rückwärts, im gleichmäßigen Takt, war der schön anzusehende Katamaran vollgetankt. Die Skipper verabschiedeten sich freundlich und machten sich auf den Weg. Während der Wartezeit bemerkten sie die wartende Polaris und hielten mich über den laufenden Tankprozess im Stand. „Still about 3,000 liters to go!“ – ich nickte, danach sprachen wir über unsere Tagesziele – auch sie wollten rechtzeitig weg, aus diesem Gebiet, um der anspruchsvollen Wetterlage zwischen Korsika und Sardinien zu entkommen.

Die Glocken der Kirchen von Bonifacio schlugen. Ich füllte meine vier Kanister, nebst den Tank und begab mich gegen 09:10 Uhr in den Kanal ostwärts.

Die Luftfeuchtigkeit drückte, die Sichtweite betrug vielleicht eine Meile. Die See lag ruhig.
Zu viele Faktoren deuteten auf den vorhergesagten Wetterumschwung hin. Und die Passage sollte dafür berechtigt sein, was mir Philipp via What‘s-App noch Tage zuvor mit auf den Weg gab.

Ich hatte in der vergangenen Nacht die Wetterkarten studiert – ab 15 Uhr wird es ordentlich krachen – und danach eine großflächige Ostwind-Wetterlage von Sizilien bis nach Sardinien einsetzen, mit Einfluss bis zum Festland, welche sich bis zum Ende der Woche nicht verbesserte.

Mit etwas Geschwindigkeit könnte ich dem Zentrum der Kaltfront, welche, bis zum Nachmittag auf Höhe Olbia auf Sardinien liegen sollte, vielleicht zuvorkommen. Zumindest der Front, die ihre Kraft östlich der Inseln verlor.

Wir lagen gut in der Zeit. Der Plan könnte aufgehen.

Mit gefühlten 2200 Touren jockelte der treue Penta gen Italien. Backbord Korsika, Steuerbord Sardinien – und irgendwann waren sie hinter uns.
Wenn die Wetterlage nur etwas einfacher gewesen wäre, hätte ich gerne mehr Zeit auf diesen beiden Inseln verbracht.

Die Luft wurde drückender, der Horizont verschwamm im Dunst.
Das Wasser hatte 30 Grad – die Luftfeuchtigkeit lag gefühlt bei 100 Prozent. Es war 14:00 Uhr.
Ich verstaute die Kanister sicher unter Deck, verräumte allerlei Zeug und bereitete einen wasserdichten Seesack vor: Frischwasser, Powerbank, EPIRB, SART. Und die Automatik – Rettungsweste angezogen, die Lifeline (eine Rettungsleine) am Steuerstand parat.

Warum ich das tat?
Weil ich vor der kompliziertesten Aufgabe meiner Laufbahn stand:
Einhand. Quer durchs Mittelmeer. Bei ungewisser Wetterlage.
Gewiss, das Boot würde es schaffen. Das hatte sie auf dem Atlantik mehr als bewiesen. Es lag an mir.


Was haben mich all die Meilen gelehrt?
Vorbereitet zu sein.

15:00 Uhr

Ich lag am Heck, eine Decke über mich. Mit Instant-Nudeln nebst Brot im Magen, und blickte schläfrig zum Horizont gen Sardinien. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und die Luft lag immer noch schwer. Polaris war gut marschiert.


Die Strömung half uns mit etwa einem Knoten.
Ich hatte noch einmal einen Schluck aus dem Dieselkanister gegeben, um wirklich auf Nummer sicher zu gehen – und wartete. Das Radar war eingeschaltet. Laut Wetterkarte sollte ich am Rand der Front sein. Die Umgebung war diesig und still. Sie war scheinbar verspätet. Meine Augen fielen zu.

17:00 Uhr

Ein kühler Windzug weckte mich.
Der schwarze Windgenerator, der den ganzen Tag aufgrund der stehenden Luft ruhte, begann sich zu drehen.
Ich öffnete die Augen. Fünf Knoten achterlicher Wind.
Ein Blick zum Radar:
Ein roter, breiter Fleck – klar unterscheidbar von der dahinterliegenden Landmasse Sardiniens und Olbias.

Ich blickte achterlich – und sah die riesige, graue Wolke.
Sie zog sich zu einem dichten Zentrum zusammen, das sich entschlossen seinen Weg zum Meer suchte. Mir wurde klar: Das hatte ich vor zwei Jahren schon einmal bei Sizilien erlebt & wurde wachsam.

Die grauen Wolkenschleier bildeten sich aus, genau wie das Meer darunter – dessen Oberfläche schäumte und wie das kondensierte Wasser darüber zu zirkulieren begann. Das Meer peitschte auf, streckte sich gen Himmel und griff nach den Schleiern die zum Meer ragten.
Ein Knall.
Der Himmel erstrahlte – die zirkulierenden Zentren von Himmel und Meer verbanden sich, wie magnetisch voneinander angezogen und rotierten als Einheit exponentiell kraftvoller.

Ich stand auf und gab Gas.

Die Wasserhose wanderte mal links, mal rechts – ob sie Polaris dabei näher kam, war wegen der sich ausbreitenden Dämmerung nicht einzuschätzen.
Auf dem Radar betrug der Abstand zu der deutlich roten Zelle nur zwei Meilen zur äußersten Kante, dessen Ausbreitung den restlichen Bildschirm einnahm.

Die Front war angekommen. Und ihre vorhergesagte Zuggeschwindigkeit lag bei mehr als dem Fünfwachen von Polaris bei Marschgeschwindigkeit.

Doch wie weit würde sie sich noch ausbreiten? Und was wäre bei einem Blitzschlag?

Zwischenzeitlich standen drei Wasserhosen hinter uns und die Blitze in der zunehmenden Dunkelheit jagten mir ein Schaudern ein. Der Motor könnte nach einem Blitzschlag noch laufen, auch wenn die Elektrik verkohlt ist. – Und auch diese Aussagen beruhten nur auf dem vom Blitzschlag geschundenen Skipper, welcher mir zwei Jahre zuvor in Vibo Marina berichtete.

Für das Iridium, unser Satteliten-Telefon, war es an der Zeit, von seinem Platz am Navigationstisch in den Backofen zu wandern. Der Backofen ist ein galvanischer Käfig. Und auch das war schon längst vorbereitet, bevor ich mich vor der ersten Windhose auf der Bank hinterm Steuerstand lang machte.

Irgendwann, als Regen einsetzte, saß ich für einen Moment auch nur unter Deck und freute mich, dass die Elektrik geht und der Motor mitmacht. Wir lagen optimal zwischen den Gewitterzellen. Jeweils mit zwei Meilen Abstand. Bevor ich nach einsetzendem Regen den Niedergang runterschritt, hatte ich den Kurs, unter Zuhilfenahme von Bordradar und Internet, nochmal angepasst, um möglichst mittig der Gewitterzellen herzukommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bei flacher Welle etwa 15 Knoten Gegenwind. Die bis zu zehn Kilometer hochreichenden Gewitterzellen zogen jedoch mit uns.

Nach einer Dosen-Instant-Suppe, als der Regen nachließ, ging es wieder rauf.

Dann lag ich wieder oben, der Himmel klar vor mir, auf Backbord und Steuerbord durchzogen Blitze den Horizont. Auf meinem Radar nicht erkennbar. Doch auf meinem Smartphone sah ich das Wetter über den hinter mit liegenden Landmassen, welches über Korsika und Sardinien kochte und Gewitterzellen auf meiner Route dicht neben mir platzierte. Genauso wie östlich vor mir, auf Sizilien. Daher strich ich meine Idee, bis zum Stromboli durchziehen. Ich legte meinen Wegpunkt auf dem Plotter auf eine sichere Zone südwestlich bei Neapel und der Autopilot quittierte mit einem optimistischem „Piep.“

2. Tag - 11:00 Uhr

Am nächsten Morgen wurde ich wach. Es dämmerte bereits. Meiner letzter neuer Wegpunkt lag Stunden zuvor auf eine Bucht einer Insel nord-westlich von Neapel. Dort wollte ich nach etwa 300 Meilen halten. Die Nacht war voller Anspruch und das Festland zum Greifen nah. Ich lag zum Morgengrauen wieder auf der Bank hinterm Steuerstand, als die Luft merklich schwüler wurde. Die Prognosen machten die Situation nicht besser.

Weiter von der Küste weg, war meine Idee – sodass ich ich den Kurs änderte – aber zuvor nochmal Diesel nachfüllte.

Nach einer asiatischen 5-Minuten-Suppe unter Beobachtung der überentwickelten Wolken versuchte ich etwas zu schlafen, bis ich im Blickwinkel abermals einen roten großen Fleck direkt vor uns erhaschte.

Eine Wolke, die durch ihre Kompaktheit so viel Kontrast bietet, um im Kartenplotter visualisiert zu werden. Ich war genervt – und vor allem erschöpft, legte Kurs etwas nach Steuerbord um auszuweichen. Der Wind stimmte, sodass die Wolke vermutlich ohne mein Zutun an uns vorbeigezogen wäre.

Es war eine Situation, in der es sich jedoch besser anfühlt, Dinge zu tun.

Polaris bog ab und wir waren an der Gewitterzelle vorbei, weit von der Küste weg. Mit dem Wegpunkt auf diese Insel, deren Name mir nicht mehr geläufig ist, in der Nähe nordwestlich von Neapel. Mittlerweile gegen 14:00 Uhr weit genug weg von den sich aufbauenden Gewittern am italienischen Festland. Der Wind machte auf. Ich könnte segeln, jedoch dadurch meinen Zielpunkt verlieren – und mit meiner Kurslinie weiter gen Knick des Italienischen Schuhs abwandern. Fast schon bis nach Sardinien.

2. Tag - 14:10 Uhr

Mir war es mittlerweile egal geworden, denn der Wind stand stramm, mittlerweile bei +-20 Knoten und die Luft – war kühl und frisch. Und günstiger für meine Route nach Vibo Marina bei Tropea. Die Front schien durchgezogen zu sein, die Atmosphäre war wie gereinigt. Die Genua von Polaris ging auf. Und dann das Groß. Beide Segel im 2. Reff. Es war gewiss etwas zu viel Tuch gesetzt und Polaris lag etwas auf der Seite, aber sie lief auf Schienen. Ich drückte den roten Knopf, welcher auf Anhieb funktionierte, drehte den Schlüssel auf -0- und der Motor schwieg. Nach dreißig Stunden.

Ich bereitete mir danach eine weitere 5-Minuten-Terine, legte ich mich hin und genoss. Die klare Sicht, die flache Welle, keinerlei Gewitterneigung mehr. Polaris zog hart nach Ischia – und so war mein Ziel ohne Plan gesetzt.

Da war ich noch nie. Also da hin.

Die letzte Zelle schlechten Wetters...
...danach herrlicher Segelwind!

2. Tag - 16:00 Uhr

Polaris lief gut. Im Augenwickel tippte ich noch eine Antwort auf Philipps navigatorische Nachfrage zu meinem ursprünglichen Vorhaben:

„Planänderung?“

„Ich lass sie laufen.“

Nachwort vom 09. April 2025

Die kommende Nacht segelten wir durch. Der Himmel war klar, der Wind bei 15 Knoten. Die Welle flach. Am 3. Tag gegen 11 Uhr war der Wind alle. Und der deutschsprachige Hafenmeister vom Hafen „Cala degli Aragonesi“ rief an. Mein Platz war frei geworden, ob ich reingekommen mag?


Angekommen, nach 52 Stunden, im Hafen von Ischia war ich erschöpft und zufrieden. Bei zwei Nächten, á 150 Euro, hatte ich eine gute Zeit um Kraft zu sammeln. Gute Pizza gab es auch. 

Nachdem sich die Wetterlage im Bereich von Neapel bis Vibo Marina beruhigte, zog ich wieder los, nur um schnell wieder zurückzukehren, weil der Diesel kein Kühlwasser mehr spuckte. 

Der Impeller wurde dank guter Mechaniker und durch den mehr als hilfsbereiten Hafenmeister, bin in zwei Stunden gewechselt und nach weiteren 48-Stunden war die Etappe geschafft. Ob es darüber noch eine Langfassung gibt? Ich bin selber gespannt. Es gab noch einen Wal, welcher Polaris begleitete. Aber sonst nicht viel zu erzählen.

Die zweite Nacht, bei schönem Wetter.
Im Hafen von "Cala degli Aragonesi"

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