Segelabenteuer Albanien
Teil 2
21. Mai 2018 - 08:00 Uhr
„Skipper, aufstehen! Soldaten sind da!“
Die Sonne schien durch die kleine Seitenluke in meine Kabine, das Meer war friedlich.
„Was? Wo sind wir?!“
„In Vlorë! Wir hatten letzte Nacht Sturm!“ – Was für ein Sturm?!
Völlig schlaftrunken eilte ich den Niedergang hinauf und blickte auf ein großes schwarzes Schlauchboot mit fünf Soldaten. Einer von ihnen war der Wortführer, der Rest schaute zu und grinste. Woher wir kommen, wohin wir wollen, wie ich heiße, wie das Boot heißt, unter welcher Flagge es läuft – Fragen über Fragen! Die einzigen Fragen, die ich ohne Zuhilfenahme meiner Crew beantworten konnte, waren Schiffsname, Flagge und Ort.
Langsam kamen die Erinnerungen wieder: Der heranbrausenden Gewitterzelle wenige Stunden zuvor konnten wir nicht ausweichen. Sie kam bedrohlich näher und zog mit aller Macht über uns hinweg. Das Deck wurde von den Regenmassen überspült. Wellen traten von beiden Seiten bis über die Unterkante der Reling. Wir fuhren mit langsamer Fahrt in Richtung Bucht von Vlorë und wichen nicht weiter westlich gen Italien aus. Wir waren ohnehin schon mittendrin! Vorsichtig mittendurch, gegen den Sturm, war die bessere Option. So etwas habe ich noch nie erlebt! Hätte es nur die geringste Andeutung vom Wetterdienst gegeben – wir wären in Durrës geblieben und hätten uns ein Bild vom albanischen Großstadtrubel machen können. Vor der nächsten Langfahrt muss ich noch mehr über Wetterkunde lernen, um noch besser meine eigenen Schlüsse ziehen zu können.
Bei der Zuggeschwindigkeit der Wolken (auf dem Wasser hatten wir etwa dreißig Knoten Wind) sollte es nicht lange dauern, bis das Gewitter unsere Yacht passiert hatte. Irgendwann war der Leuchtturm wieder zu sehen, der zuvor scheinbar verschluckt worden war. Eine weitere Zelle war aber schon im Anmarsch. Auch sie ergoss sich über uns. Wir kauerten unter der Sprayhood und überließen Penta und dem Autopiloten das Fahren. Hagelkörner prasselten auf das Deck. Blitze ringsherum. Wie oft wird eine Segelyacht vom Blitz getroffen? Durch die Gummifenster der Sprayhood behielten wir den Blick voraus.
Es sollte aber das letzte Gewitter gewesen sein. Das Meer wurde glatt und friedlich, als wir gegen 03:00 Uhr in den schützenden Bereich der Bucht von Vlorë fuhren. Mond und Sterne zeigten sich. Noch zehn Seemeilen in die Bucht hinein. Ich ging den Niedergang hinab, unter Deck. Zwei Crewmitglieder schliefen auf den Bänken im Salon. Nur die leuchtenden Displays von Funkgerät, Plotter und Logge erhellten den Bereich des Navigationstischs. Ich las 5,5 Knoten „Fahrt durchs Wasser“ ab – die sollte sich mit der Fahrt über Grund decken. Der Penta, dessen Leistung wir vor den Gewitterzellen merklich reduziert hatten, um das Aufstampfen zu verhindern, machte ohne Wind und Welle wieder eine schöne Fahrt und surrte friedlich vor sich hin. Wir wollten ihn nicht aufdrehen – den Schlafenden zuliebe. Aus einer kleinen Luke tröpfelte es langsam in den Salon. Bei den Wassermassen kein Wunder – jedoch werden die Dichtungen sobald wie möglich getauscht.
Ich informierte die Crewmitglieder, die in den Kojen lagen, dass wir nun in seichten Gewässern seien, das Unwetter vorbei sei und wir noch etwa zwei Stunden fahren würden.
Das Ziel war das flache Gewässer am östlichen Ende der Bucht von Vlorë – ein schöner Ankergrund, wo wir gegen 05:00 Uhr den Haken ins Wasser warfen. Der Himmel war wieder ringsum blau und friedlich, als ich mich nach einem verdienten Anlegerbier mit meiner Crew in die Koje legte.
Und an eben diesem Ankerplatz störten sich die Soldaten. Wir lagen in einem militärisch gesperrten Bereich. Hätte ich Christian Winklers Broschüre und die Seekarten genauer gelesen, wäre mir dieses Ärgernis erspart geblieben. Die Soldaten waren gleichwohl freundlich und wünschten uns einen schönen Aufenthalt in Albanien. Wir müssten weiter nördlich eine andere Stelle suchen. Ich entschloss mich, ein paar Seemeilen zum südwestlichen Zipfel der Bucht zu fahren. Wo man schon wach ist, kann man bei dem ruhigen Wetter auch schon ein bisschen näher zum Ziel Griechenland fahren.
Am Zipfel fanden wir eine herrliche Bucht. Das schöne Wetter lud zum ausgiebigen Baden ein. „Das wird heute ein schöner Tag!“, sagte Co-Skipper Lars. Er sollte recht behalten. Das Wetter war bis Törnende schön! Neptun und Rasmus hatten uns anscheinend ausreichend geprüft – und den Transit endlich bewilligt.
Die Strapazen der langen Nacht steckten dem einen oder anderen Crewmitglied noch in den Knochen. Eine gute Mahlzeit musste her. Der Skipper kochte für seine Crew eine ausgezeichnete, hausgemachte Bolognese. Die letzten Gnocchi aus Kroatien wurden aufgebraucht. Das Tagesziel wurde nach dem Abspülen festgelegt: Wir wollten zum „Port of Palermo“ fahren. Richtig gelesen: Eine von Fahrtenyachten gut frequentierte und geschützte Bucht mit Restaurant an der südlichsten Küste Albaniens. „Port“ ist hierbei völlig übertrieben – viel mehr als eine größere Bucht mit Burg ist es nicht. Bis nach Sarandë wären es von da an nur noch fünfzehn Seemeilen. Die wollten wir uns samt des umständlichen Ausklarierens für den Folgetag vornehmen. Wir wollten nicht wieder mitten in der Nacht irgendwo festmachen. Zudem gab es einen schönen Anlass: Die Polaris hatte zum ersten Mal die Adria verlassen und das Ionische Meer erreicht. Wir wünschen dir auch hier immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!
Nach dem Abspülen ließen wir den Volvo Penta an und tuckerten los. Ab unserem Standort bis Sarandë sollte der schöne Teil von Albanien beginnen. Wir sahen zuerst die in der Broschüre von Christian Winkler beschriebene Höhle – wirklich eindrucksvoll. Die Polaris hätte hineingepasst. Es wehte ein seichter Ostwind, sodass wir erneut den Motor nutzen mussten. Der Wind stellte uns aber vor keine großen Probleme. Wir hätten gerne gesegelt. Doch wollten wir die Zeit, die wir unter den schweren Bedingungen der letzten Wochen verloren hatten, nun aufholen – und lieber für Griechenland nutzen. Außerdem konnte man sich nach der langen Nacht entspannt in die Plicht oder aufs Deck lümmeln, um die Szenerie zu genießen. Und die Szenerie war wirklich traumhaft schön! Die Bilderreihe ist besser als jede Beschreibung.
Ein großes Schiff der albanischen Marine fuhr mit einer Seemeile Abstand an uns vorbei. Wir hörten häufiger über Kanal 16: „Sailing boat! Sailing boat!“ Ob wir gemeint waren? Ich antwortete über UKW – wir waren tatsächlich gemeint. Die vielen W-Fragen konnte ich diesmal problemlos beantworten. Nach kurzer Wartezeit wurde uns eine gute Fahrt gewünscht. Die albanischen Behörden wissen über ihre EDV genau, welche Schiffe mit welcher Besatzung bei ihnen unterwegs sind. Ob es eine Rufbereitschaft in den albanischen Gewässern gibt, kann ich nicht beantworten. Einer Fregatte der albanischen Marine sollte man aber besser antworten.
Eine Stunde später – ich saß im Salon und stellte den Blog über Montenegro fertig – ertönte eine laute Sirene aus dem Cockpit unserer Yacht. Ich dachte erst an einen Scherz meiner Crew. Es war aber tatsächlich ein größeres Boot der albanischen Küstenwache, das achtern aus beilag. Auch hier beantwortete ich sämtliche W-Fragen präzise. Uns wurde nach kurzer Wartezeit ein schöner Aufenthalt gewünscht. Wir näherten uns eindeutig der Grenzregion zu Griechenland, die auf beiden Seiten streng bewacht sein soll. „Unterm Radar“ die Küste Albaniens zu erkunden, kann ich an dieser Stelle nur dringend abraten.
Der Wind entwickelte sich mehr und mehr zur Flaute. Die Sonne stand bereits am Horizont, bereit unterzugehen. Wir wollten seitlich an einer hohen Pier im „Port of Palermo“ festmachen. Ein albanischer Sheriff forderte uns jedoch freundlich zum Ankern auf. Kein Problem. Unweit von drei anderen Yachten mit unterschiedlichsten Flaggen warfen wir unseren Anker ins Wasser und machten das Dingi zum Ausbooten klar. Dies gelang in zwei Zügen. Wir fuhren langsam an den bereits vor Anker liegenden Yachten vorbei, um kein Schwoi zu erzeugen – es gibt kaum etwas Nervigeres, als an einem schönen Abend von vorbeibrausenden Booten durchgeschüttelt zu werden.
Einem hübschen Weg folgend, gelangten wir zum Restaurant. Von hier aus konnte man die Bucht schön überblicken. Die Preise der Speisen entsprachen deutschem Niveau – und sie waren köstlich.
Nach dem Abendessen und einem Getränk in der Plicht gingen wir zu Bett: Am Folgetag sollten wir Griechenland erreichen.
22. Mai 2019
Wir waren gegen 09:00 Uhr die letzte Yacht, die den „Port of Palermo“ verließ. Ich kontaktierte eine Agentin, deren Nummer ich aus dem bisher sehr hilfreichen Törnbericht von Christian Winkler entnommen hatte. Auch hier war der Kontakt über WhatsApp sehr unkompliziert. Wir kamen gegen Mittag in Sarandë an und fanden die deutlich markierte Zollpier. Kurz darauf begrüßten mich zwei Herren, die sich als meine Agenten vorstellten. Ich teilte ihnen mit, eine Dame erwartet zu haben – und diese Dame eilte tatsächlich die Treppe herunter in Richtung unserer Yacht. Sie befürchtete offenbar, dass ich abgeworben werde. Sie nahm meine Dokumente und – zum ersten Mal in Albanien – auch unsere Pässe entgegen. Ich teilte ihr mit, bis 15 Uhr in Sarandë bleiben zu wollen, bevor es nach Korfu weitergehen sollte. Wir wollten uns zunächst einmal die Beine vertreten. Für fünfzig Euro bekam ich drei Stunden später alles zurück – inklusive der ersten behördlichen albanischen Crewliste, die mir das Übersetzen nach Griechenland erlaubte. In Sarandë schien alles deutlich professioneller abzulaufen.
Sarandë ist eine sehr interessante und hübsche Stadt, die ich für Wochenurlauberinnen und -urlauber aus Korfu ausdrücklich empfehlen kann. Die Fähren pendeln ständig ab Korfu-Stadt und kosten etwa 40 € für Hin- und Rückfahrt pro Person. Wer mit der Yacht kommt, kann problemlos an der Pier einen Liegeplatz erhalten – Wasser ist vorhanden. Da man dort jedoch dem Trubel der vielen Ausflugsboote ausgesetzt ist, rate ich dazu, nach Erledigung der Dokumente im flachen Hafenbecken zu ankern und auszubooten. Einen Yachthafen gibt es nicht. Die im Internet zu findende „Marina Sarandë“ ist keine klassische Marina – lediglich ein kleiner geschützter Steg, an dem zahlreiche Bars anliegen. Hier liegen nur einheimische kleine Kutter, und der Außensteg ist zum Festmachen zu flach.
Sarandë ist ein Badeort, der von zahlreichen Touristinnen und Touristen besucht wird. An jeder Straßenecke macht sich jedoch die Armut in Form bettelnder Familien bemerkbar. An anderen Ecken werden offensiv Drogen angeboten.
Wir trafen uns um 15 Uhr an der Yacht. Der Skipper hatte in Sarandë einen Friseur aufgesucht. Kostenpunkt für das Schneiden von Haaren und Bart: 700 Lek (ca. 5,80 €). Die Empfehlung erhielt ich von meiner Agentin. Sie schickte mich mit einem Stadtplan bewaffnet los. Ich streifte durch die hübschen Gassen – treppauf, treppab, über die Promenade zurück ins Stadtinnere. An einer Häuserwand am Zielort lehnte ein älterer Herr mit weißem Kittel. Wir sahen uns an, und er wusste, was zu tun war. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprachen, war das Ergebnis laut meiner Crew absolut sehenswert.
Wir trafen uns pünktlich am Schiff und setzten nach Korfu über. Unsere Zeit in Albanien war vorbei. Ursprünglich hatten wir vor, zwei oder drei Tage mehr in Albanien zu verbringen – in Durrës, Vlorë und Sarandë jeweils eine Nacht. Wir gaben diesen Plan auf, um am Ende zumindest drei Tage auf Korfu zu verbringen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als bei einem Törn auf den letzten Drücker am Zielort anzukommen. Einen Abend in einer albanischen Hafenmetropole hätten wir gleichwohl gerne erlebt – Vlorë oder besonders Sarandë wären dafür infrage gekommen.
In diesem Land haben wir ausschließlich gastfreundliche Menschen erlebt – vielleicht sogar die hilfsbereitesten und freundlichsten, die ich je getroffen habe. Das Land selbst ist auf „Yachtis“ überhaupt nicht ausgerichtet – das war uns bewusst. Seglerinnen und Segler alter Schule dürften damit kein Problem haben. Wer hingegen Komfort erwartet und die Nasszellen seiner Yacht meidet, sollte Albanien besser fernbleiben.
Wer aus Griechenland kommend die Möglichkeit hat, mit einer Yacht Albanien zu besuchen, sollte das unbedingt tun. Ihr seid größtenteils allein unterwegs – wenn nicht gerade die Küstenwache anklopft. Der Abschnitt Vlorë bis Sarandë ist absolut empfehlenswert. In Vlorë gibt es zudem eine Marina, die wir jedoch nicht aufsuchten. Sie soll etwas schwer zu manövrieren sein.
Den Küstenabschnitt von Montenegro bis Vlorë können wir nicht empfehlen. Die langen Abschnitte sind völlig schutzlos, flach – und zugemüllt.
Es war gleichwohl eine tolle und sehr interessante Erfahrung. Sollten wir diese Etappe jedoch noch einmal fahren, würden wir von Kroatien kommend über Italien fahren und erst in Vlorë ansetzen. An dieser Stelle nochmals besten Dank an Christian Winkler und seinen Törnbericht über Albanien – er hat uns wirklich weitergeholfen. Wer ihn für seinen Törn braucht, kann sich gerne an ihn wenden.