Segelabenteuer Albanien
Teil 1 | Shengjin & Durres
von René Schäfer
Erstveröffentlicht am 20. Mai 2019
Letztes Lektorat am 22. Juli 2025
Gegen 16 Uhr erreichten wir die Hoheitsgewässer Albaniens. Wir setzten den schwarzen Adler auf rotem Grund an Steuerbord, darunter die gelbe Q-Flagge. Bereits im Vorfeld hatte ich unseren albanischen Agenten, Mr. Frock, per WhatsApp kontaktiert – die Kommunikation lief schnell und unkompliziert. Er bat um ein Foto der Crewliste, um die Behördengänge vorab zu erledigen. Lichtbilder unserer Pässe? Brauche er nicht, schrieb er. Etwas überraschend, aber willkommen.
Der Wind frischte rasch auf, genau wie angekündigt: aus Süd. Da die Küste zunächst grob östlich verlief, konnten wir etwa zwanzig Meilen hart am Wind segeln. Der Himmel war bedeckt, immer wieder setzte Regen ein. Bei bis zu zwanzig Knoten wahrem Wind machten wir gute Fahrt. Die Yacht krängte, lief jedoch trotz hoher Wellen wie auf Schienen – ohne zu stampfen. Aus den Cockpit-Lautsprechern dudelte albanisches Radio: gute Musik, wenig Moderation. Nur „Last Christmas“ im Mai irritierte kurz.
Ankunft in Shengjin
Wir passierten die Hafeneinfahrt von Shengjin, die bei südlichem Wind keinerlei Schutz bietet. Im Hafen selbst lagen ausschließlich Arbeitsboote – teils schwimmend, teils auf Grund. Die wenigen, die noch Wasser unterm Kiel hatten, wirkten längst ausgedient. An einem Steg lagen zwei größere Schiffe im Päckchen.
Ein junger Mann in schwarzer Lederjacke winkte uns aufgeregt heran und deutete auf eine Lücke vor sich. Doch sie war zu schmal für unsere Yacht, also legten wir neben den Arbeitsbooten im Päckchen an.
Ein unwirkliches Bild: ein heruntergekommener Hafen, gesäumt von Wracks – und mittendrin eine weiße Segelyacht, verzurrt wie ein Fremdkörper. Auf dem Steg schaufelten Arbeiter Sand auf einen Frachter. Starker Wind und ergiebiger Regen verhinderten leider den Start unserer Drohne. Die Aufnahmen hätten ein bemerkenswertes Panorama eingefangen.
Nachdem unser Helfer weit genug vom Schiff entfernt war, konnten wir nicht anders – wir mussten erst einmal laut loslachen. Am Morgen noch im luxuriösten Yachthafen der adriatischen Gewässer aufgewacht, war dies doch ein harter Kontrast. Wir wussten schon während der Törn-Vorbereitungen, was uns erwarten würde, und waren umso neugieriger auf Albanien. Doch dieser Hafen war in dem Moment so unwirklich, dass man unweigerlich grinsen musste.
Anstelle des jungen Helfers vor Ort hatten wir eigentlich einen älteren, gut gebauten Herrn erwartet – jenen Mann, der in der zuvor erworbenen Video-Dokumentation von Christian Winkler vorgestellt wurde. Auch zahlreiche Berichte in Segel-Foren zeugten von seiner Gastfreundschaft – sofern man auf einen Schnaps mit ihm nicht verzichtete.
Unser Helfer stellte sich nach dem Anleger als Sohn von Mr. Frok vor. Sein Vater sei in Amerika. Dort wolle er auch gerne hin, habe aber kein Visum.
Er zeigte uns die Stadt und empfahl ein Restaurant. Laut Aussage von Mr. Frok Jr. sei dies das beste Lokal. Auf dem Weg konnten wir uns ein näheres Bild vom Örtchen machen: Es bestand – wie schon aus der Ferne erkennbar – größtenteils aus maroden (Platten-)Bauten in strukturloser Anordnung. Kreuz und quer verliefen Stromkabel von Haus zu Haus. Streunende Hunde und Katzen tapsten durch die Gassen. Ein plötzlich auftretender Platzregen unterstrich die traurige Szenerie. Im Sommer soll dies ein beliebtes Urlaubsziel für osteuropäische Touristen sein. Bei schönem Wetter sieht die Gegend gewiss auch freundlicher aus – die „Promenade“ machte selbst bei schlechtem Wetter einen recht einladenden Eindruck.
Das empfohlene Restaurant war hübsch eingerichtet – und das Essen wirklich gut. Es gab Fisch. Mit Beilagen, Getränken und einem vollen Glas Raki aufs Haus bezahlten wir für fünf Personen rund 65 €.
Währenddessen erledigte unser Agent, trotz der späten Stunde, alle behördlichen Formalitäten. Noch bevor das Essen auf dem Tisch stand, war er bereits zurück und überreichte mir einen DIN-A5-Zettel, der uns die Weiterfahrt nach Durrës erlaubte. Die Gebühr für sämtliche Erledigungen betrug 50 €.
Wir wollten am nächsten Morgen früh aufbrechen. Vor dem Sprung in die Koje prüfte ich noch alle Leinen des Dreierpäckchens. Der Wind hatte nicht nachgelassen – er drückte die Wellen gegen unser Heck. Besser wäre es gewesen, mit dem Bug voraus zu liegen. Das Klatschen des Wassers gegen die Polaris war in den Achterkabinen deutlich zu hören und ließ mich nur schwer in den Schlaf finden.
20. Mai 2019
Wir mussten früh los: Starker Südwind war angekündigt – und das für die nächsten zwei Tage. Die Situation stellte uns erneut vor große Probleme. Wir hatten bereits viel Zeit verloren, da Wind und Welle bislang konsequent gegen uns standen. Die nächsten 90 Seemeilen führten südwärts entlang der albanischen Küste. Bei dieser Aussicht war mir klar: Unser Volvo Penta würde zwei harte Tage vor sich haben. Also besser noch einmal die Ölstände prüfen.
Er ist ein wirklich zuverlässiger, kräftiger Motor – immerhin 43 kW – und hat mich bisher nie im Stich gelassen. Da der Wind am Vormittag noch moderat bleiben sollte, starteten wir ihn um 5:30 Uhr. Wir trieben ihn an seine Leistungsgrenze, um die 35 Seemeilen nach Durrës zu schaffen – und das unbedingt, bevor der angesagte Südwind gegen Mittag loslegt.
Zum Glück machten wir bei halbwegs flachen Wellen noch gute Fahrt. Der Himmel war bedeckt, immer wieder setzte Regen ein. Auch diese flache Küste war anspruchsvoll zu navigieren. Überall trieb Müll im Wasser. Zwischenzeitlich kontaktierte ich unseren nächsten Agenten per WhatsApp – die Kommunikation war erneut unkompliziert.
Ankunft in Durres
Gegen 11:00 Uhr erreichten wir Durres. Durres ist eine erstaunlich große Hafenstadt. Eine riesige Zollmole bot ausreichend Platz. Eine andere Yacht unter deutscher Flagge lag schon dort. Unser Agent stand ebenfalls bereit. Er nahm meinen „Passierschein“ entgegen. Ich fragte ihn, ob es möglich sei, bis Sarande durchzufahren ohne in Vlores zu halten. Das war für eine Extragebühr von 10€ kein Problem.
Guten Quellen zufolge muss eine Sportyacht nach albanischen Gesetz seit schon längerer Zeit nicht mehr an jedem Hafen halten. Die Agenten bzw. Hafenmeister und Polizisten ignorieren dies jedoch regelmäßig und machten Schwierigkeiten, wenn man entsprechende Passierscheine nicht vorweisen kann.
Ich war froh, dass ein Zwischenhalt in Vlores nicht mehr der Dokumente wegen notwendig war und schickte meine Crew zum Vertreten der Beine in die Stadt. Ich blieb bei der Polaris und unterhielt mich mit den Seglern der Yacht vor uns. Sie waren über die Nacht von Italien aus gekommen. Man wollte Richtung Montenegro weiter. Wir selbst hatten uns entschloss, gegen 14 Uhr bis Vlores weiterzufahren. Die Bedingungen schienen besser als vorhergesagt. Und zur nur Not können wir umdrehen, falls wir vor dem angekündigten starken Wind nicht durchkommen. Man sollte nicht vergessen, dass es zwischen Durres und Vlores keine schützende Bucht geschweige einen Hafen gibt!
Die Reservekanister waren leer und mussten dringend befüllt werden. Doch in Durrës gibt es keine Tankstelle für Yachten. Laut unserem Agenten beziehen die großen Schiffe ihren Kraftstoff direkt von Tankschiffen. Bis Sarandë, so hieß es, würden wir keine Gelegenheit mehr zum Tanken haben.
Die einzige Lösung war der beschwerliche Gang in die Stadt – mit zwei 30-Liter-Reservekanistern. Unser Agent versprach, dass ein deutschsprachiger albanischer Hafenarbeiter helfen würde. Und tatsächlich: Kurz nach dem Gespräch traf er ein. Er brachte mich zu seinem Auto und fuhr uns hilfsbereit zur Tankstelle.
Freundlich und zuvorkommend – wie bisher alle Menschen, die wir in Albanien kennenlernen durften. An der Tankstelle konnte in Euro bezahlt werden. Der Liter kostete 1,30 €. Nach dem Tanken drehte der nette Herr noch eine kleine Stadtrundfahrt mit uns.
Er erklärte mir, dass die Menschen in Albanien friedlich zusammenleben – ohne Unterschied der Religion. Was mich dabei fast noch mehr faszinierte, war der Straßenverkehr: dicht, aber reibungslos und erstaunlich stressfrei. Hielt ein Fahrzeug in zweiter Reihe, fuhr man einfach drumherum – ohne zu hupen oder sich aufzuregen. Jeder achtete auf den anderen, ließ ihn notfalls gewähren und blieb dabei gelassen.
Da wir mit dem PKW das Gelände des gut gesicherten Industriehafens nicht befahren durften, mussten wir die letzten hundert Meter mit den vollen Kanistern zu Fuß zurücklegen. Eine Hafenmitarbeiterin bemerkte offenbar unser mühsames Schleppen – und kam zügig mit einer Schubkarre zur Hilfe.
Gegen 14:00 Uhr erreichten wir die Polaris – mit vollen Kanistern. Auch meine Crew war pünktlich wie verabredet zurück. Unser Agent wartete bereits mit dem erledigten Papierkram. Ich erhielt erneut einen DIN-A5-Passierschein, und 60 € wechselten den Besitzer.
Bei strahlendem Sonnenschein legten wir ab. Da die Etappe auf jeden Fall bis in die Nachtstunden führen würde, erarbeiteten wir nach kurzer Absprache einen Schichtplan.
In die Nacht
Mit 6,5 Knoten Fahrt unter Motor liefen wir gen Süden. Zwischenzeitlich versuchten wir zu segeln – doch bei der starken Strömung hätten wir tagelang aufkreuzen müssen. Der Wind war noch moderat, mit maximal 15 Knoten. Gegen 19 Uhr wurde er kräftiger und pendelte sich zwischen 20 und 25 Knoten ein. Überraschenderweise hielten wir dennoch rund fünf Knoten Fahrt.
Aufmerksam beobachteten wir die Nimbostrati, die sich entlang der Küste auf dem Weg nach Vlorë entwickelten. Noch vor Sonnenuntergang setzten erste Regenschauer ein. Danach, in der Dämmerung, zeigten sich erste Blitze. Ich bereitete meine Crew auf eine lange Nacht vor.
Bei zunehmender Welle begann die Polaris spürbar zu stampfen. Unser Propeller bekam das Wasser nur noch schwer zu fassen. Ich reduzierte die Fahrt, damit der Rumpf ruhiger im Wasser lag. In den nächsten Stunden machten wir kaum mehr als vier Knoten über Grund. Mit Raumwind wären wir längst wieder in Durrës gewesen – aber die Hälfte der Strecke war zu diesem Zeitpunkt bereits geschafft. Wir entschieden uns, durchzuziehen – in dem Bewusstsein, dass wir unter diesen Bedingungen erst bei Sonnenaufgang ankommen würden.
Immer mehr Gewitterzellen bauten sich entlang der Küste auf.
Gegen 23 Uhr legte ich mich im Salon aufs Ohr. Blitze zuckten im Sekundentakt und erhellten den Raum. Die etwas später einsetzenden Donner zeugten noch von einem gewissen Abstand zum Zentrum des Unwetters. Kurz nach Mitternacht waren Lars und ich an der Reihe – wir hielten Wache im Cockpit.
Nur noch etwa 15 Seemeilen bis zur Bucht von Vlorë: Wir sahen bereits das Leuchtfeuer, das regelmäßig von einer westlich gelegenen Insel aufblitzte. Auf Backbordseite, über der albanischen Küste, reihten sich Gewitterzellen aneinander und zogen rasch nordwärts. An Steuerbord – in Richtung Italien – ein sternenklarer Himmel. Vor uns türmte sich ein gewaltiger Cumulonimbus. Unsere Distanz zur Küste betrug etwa fünf Seemeilen. Die hohen Wellen schlugen von allen Seiten gegen die Polaris, die sich mit langsamer Fahrt parallel zur Küste hocharbeitete. Wir beschlossen, den Abstand zur Küste zu halten, solange die Gewitter dort tobten.
Zwei meiner Skipper legten sich vorerst schlafen, um für die Morgenstunden bereit zu sein. Eine Crew, die bei jedem Wetter die Nerven behält, findet man nicht überall. Hut ab – es ist wirklich angenehm, mit ihnen unterwegs zu sein.
Mein Blick wanderte wieder nach vorn. Wegen Regen und Wind musste ich die Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas zu erkennen. Das Leuchtfeuer von Vlorë, eben noch deutlich sichtbar samt Insel, blitzte nun nur noch schwach – bis es schließlich ganz verschluckt wurde. Die Zelle bewegte sich in unsere Richtung.
Wir legten das Ruder nach Steuerbord, steuerten westwärts aufs offene Meer und reduzierten die Fahrt. Die Wellen wurden immer höher, das Deck wurde von beiden Seiten überspült. Die Sicht nahm weiter ab – und das Prasseln der Wassermassen war inzwischen deutlich zu hören.